Graz als Gastgeber: Wie realistisch ist der Eurovision Song Contest 2026 in der steirischen Landeshauptstadt?
Nach dem sensationellen Sieg von JJ beim Eurovision Song Contest 2025 wird Österreich 2026 die Austragung des renommierten Musikwettbewerbs übernehmen. Während Wien bereits 2015 erfolgreich als Gastgeber fungierte, hat sich Graz diesmal als ernstzunehmender Kandidat herauskristallisiert. Tourismusexpert:innen sehen die steirische Landeshauptstadt gar als „Favorit“ für den ESC 2026. Dieser Beitrag beleuchtet die Chancen von Graz, die Infrastruktur und Konkurrenz aus anderen österreichischen Städten im Rennen um Europas größtes Musik-Event.

Graz: Zwischen historischem Flair und moderner Infrastruktur
Graz verbindet den Charme einer historischen Stadt mit zeitgemäßer Infrastruktur – eine Kombination, die es zu einem interessanten Austragungsort für den Eurovision Song Contest macht.
Warum Graz als Austragungsort ins Spiel kommt
Der Tourismusökonom Oliver Fritz vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) sieht in Graz den idealen Veranstaltungsort für den ESC. International noch relativ unbekannt, bietet die Stadt laut Fritz „ein gutes touristisches Produkt“ – genau das, was für ein Event dieser Größenordnung wichtig ist. Ähnlich wie nach der Ernennung zur Kulturhauptstadt Europas 2003 könnte Graz durch den ESC einen bedeutenden Tourismusschub erfahren.
Die Grazer Stadthalle stellt dabei eine moderne Infrastruktur zur Verfügung, die den Anforderungen des ESC gerecht werden könnte.
Dieter Hardt-Stremayr, Leiter von Graz Tourismus, bezeichnet die Vergabe des ESC als potenziellen „Jackpot“ für die Stadt. Tausende internationale Besucher:innen, weltweite Medienpräsenz und wirtschaftliche Impulse wären die Folge. Die neue Koralmbahn verbessert zudem die Anbindung von Graz an Nachbarregionen und Länder erheblich.
Infrastruktur und Veranstaltungsfähigkeit in Graz
Graz verfügt über mehrere Veranstaltungsorte, die für den ESC in Frage kommen. Die Grazer Stadthalle gilt als Hauptoption: Sie bietet moderne technische Ausstattung und ausreichend Platz für große Produktionen, inklusive zusätzlicher Hallen für Proben und Medienzentren.
Der kompakte Stadtkern macht es möglich, dass Hotels, Restaurants und Sehenswürdigkeiten für Besucher:innen zu Fuß erreichbar sind – ein klarer Vorteil. Der Flughafen Graz ist zwar kleiner als jener Wiens, bietet aber direkte Verbindungen zu wichtigen europäischen Drehkreuzen und liegt nur eine kurze Fahrt vom Stadtzentrum entfernt.
Vorteile von Graz im Überblick
Mögliche Herausforderungen
Die Schwarzlsee-Alternative: Ein besonderer Vorschlag
Neben der Stadthalle bringt Konzertveranstalter Klaus Leutgeb eine interessante Alternative ins Spiel: das Schwarzl Freizeitzentrum bei Premstätten, nahe Graz. Die kürzlich renovierte Davis-Cup-Halle und das umliegende Gelände bieten mit rund 15.000 Parkplätzen, Nähe zum Flughafen und flexiblen Raumkonzepten attraktive Voraussetzungen.
Leutgeb betont: „Kein anderer Ort in Europa bietet vergleichbare Bedingungen wie wir – TV-taugliche Halle, flexible Nutzungsmöglichkeiten, zahlreiche Parkplätze, Flughafen-Nähe und exzellente Verbindungen in Nachbarländer.“
Seine internationale Erfahrung mit Großevents, darunter Adele-Konzerte in München, untermauert seine Kompetenz für ein Event in dieser Größenordnung. Sein Vorschlag könnte logistische Herausforderungen der Innenstadtlösung lösen helfen.
Unterstützung durch die Steiermärkische Landesregierung
Die Landesregierung zeigt sich offen gegenüber der Ausrichtung des Eurovision Song Contests. Landeshauptmann Mario Kunasek spricht sich öffentlich für das Vorhaben aus und hebt die wirtschaftlichen Vorteile für Beherbergungsbetriebe und Gastronomie hervor – auch in entfernteren Regionen.
„Ich unterstütze Großveranstaltungen in der Steiermark ausdrücklich. Doch für eine seriöse Bewerbung brauchen wir klare Zahlen zur finanziellen Planung,“ so Kunasek.
Auch Landesrätin Manuela Khom sieht darin eine Chance für die Steiermark, sich europaweit zu präsentieren, betont aber ebenfalls die Notwendigkeit einer soliden Finanzierungsgrundlage. Die neue Koralmbahn könnte zudem benachbarte Bundesländer wie Kärnten und Burgenland stärker einbinden.
Aktueller Stand der ESC-Bewerbung von Graz
Stadtrat Günter Riegler (ÖVP) zeigt sich optimistisch und verweist auf den positiven Wandel durch die Kulturhauptstadt 2003, der Graz enormen touristischen Auftrieb brachte. Die endgültige Entscheidung liegt jedoch bei Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ), die eine vorsichtige Haltung einnimmt.
Kahr betont: „Mit der Stadthalle verfügt Graz über passende Infrastruktur und Know-how für Großevents. Eine Bewerbung wird im Stadtsenat diskutiert – sie kann nur umgesetzt werden, wenn sie breit getragen wird und die Kosten beherrschbar sind.“
Die Stadtverwaltung arbeitet derzeit an ersten Einschätzungen zu technischen Anforderungen und möglichen Kosten. Diese Analysen bilden die Grundlage für eine eventuelle offizielle Bewerbung beim ORF, der gemeinsam mit der Europäischen Rundfunkunion (EBU) die Gastgeberstadt bestimmt.
Konkurrenz aus anderen österreichischen Städten
Stadt | Vorgeschlagener Veranstaltungsort | Kapazität | Vorteile | Herausforderungen |
---|---|---|---|---|
Graz | Stadthalle / Schwarzlsee | ca. 10.000 / ca. 15.000 | Technische Ausstattung, kompakte Stadt | Budgetbeschränkungen, Hotelkapazität |
Wien | Wiener Stadthalle | ca. 16.000 | Erfahrung mit ESC, Infrastruktur | Weniger Neuheitseffekt, höhere Kosten |
Innsbruck | Olympiaworld | ca. 12.000 | Olympisches Erbe, Bergkulisse | Kleiner Flughafen, weniger Hotels |
Wels | Neue Messehalle (im Bau) | TBD | Neue Anlage | Unbewährter Standort, kleinere Stadt |
Oberwart | Lokale Veranstaltungshallen | – | Erfüllt weitere Anforderungen | Begrenzte Unterkunftsmöglichkeiten |
Klagenfurt hat aufgrund hoher Umbaukosten am Wörthersee-Stadion abgesagt, Salzburg verzichtet wegen Infrastrukturmängeln und finanzieller Bedenken.
Wirtschaftliche Auswirkungen und touristisches Potenzial
Der Eurovision Song Contest bietet eine bedeutende wirtschaftliche Chance für Graz. Tourist:innenexpert:innen schätzen, dass Zehntausende internationale Gäste in die Stadt kommen könnten, mit positiven Effekten für die gesamte Steiermark. Die weltweite TV-Zuschauerzahl von über 180 Millionen bringt Graz unvergleichliche Aufmerksamkeit als Reiseziel.
Bewertung von Experten (Skala 1 bis 5)
Kriterium | Bewertung |
---|---|
Eignung des Veranstaltungsortes | 4,0 |
Hotelkapazität | 3,5 |
Verkehrsinfrastruktur | 3,8 |
Touristische Attraktivität | 4,5 |
Finanzielle Realisierbarkeit | 3,3 |
Die erforderlichen Investitionen sind jedoch hoch: Basel beispielsweise investierte 2025 über 30 Millionen Euro. Zwar können wirtschaftliche Impulse nicht sofort kommunale Einnahmen ausgleichen – daher wird nationale Unterstützung als notwendig erachtet.
Kritische Stimmen zur Grazer Bewerbung
Nicht alle sehen die ESC-Bewerbung positiv. Die NEOS mahnen zur Vorsicht: Fraktionsführer Philipp Pointner zweifelt an der finanziellen Leistungsfähigkeit der Stadt.
„Natürlich wäre der ESC ein Gewinn für Graz – aber zu welchem Preis? Eine Stadt mit langjährigen Budgetproblemen kann sich dieses Luxusprojekt momentan nicht leisten“, so Pointner.
Weitere Kritik bezieht sich auf laufende Infrastrukturprobleme wie den Ausbau des Liebenauer Stadions oder Engpässe bei Kinderbetreuungseinrichtungen. Das städtische Revisionsamt sieht finanzielle Handlungsspielräume als bereits überschritten an.
Realistische Einschätzung der ESC-Chancen für Graz
Graz steht im Wettbewerb um den ESC 2026 gut da: Die Stadt bietet reizvolle Vorteile wie kompakte Innenstadtlage, geeignete Veranstaltungsstätten und breite Unterstützung aus Wirtschaft und Tourismus. Die ökonomischen und werblichen Chancen sind beträchtlich.
Dennoch sind finanzielle Hürden groß – ohne erheblichen nationalen Rückhalt wird es schwierig. Die starke Konkurrenz Wiens mit seiner Erfahrung und Infrastruktur fordert zusätzliche Anstrengungen.
Ob Graz letztlich den Zuschlag erhält, hängt davon ab, ob ein visionäres Konzept vorgelegt wird, das ambitiöse Ziele mit realistischer Finanzplanung verbindet und regionale Partnerschaften nutzt. Bis dahin bleibt die steirische Landeshauptstadt ein vielversprechender Kandidat im spannenden Rennen um Europas meistgesehenes Musikereignis.